Rezensionen „Die Namenlosen von Amrum“

Amrum-CoverEin historisch geballter und thematisch hoch interessanter Inselkrimi aus der Feder des passionierten Seemanns und Autors Jürgen Rath. In „Die Namenlosen von Amrum“ hat der Autor den literarisch-historischen Auftakt seiner Krimi-Reihe um Archivar und Ermittler Steffen Stephan nach „Nordhörn“ fortgesetzt. Jürgen Rath hat einen neuen Krimi seines Protagonisten Steffen Stephan veröffentlicht, der über die Stadtgrenzen von Hamburg zur Insel Amrum und über die Jahrzehnte hinweg seine Spuren legt. Spannend, real und von erschreckender Fesselung. Eine Recherche, ein Auftrag, der nicht ohne Folgen bleibt…

Zum Schreibstil:
Autor Jürgen Rath meistert eine Schwierigkeit in Sachen literarische Kunst, die nicht einfach zu bewältigen ist. Er bedient gleich zwei große Handlungsstränge, einen in der Gegenwart im Sommer 1964, als Steffen einen neuen Auftrag erhält und zu diesem Zweck auf einer Insel landet. Auf Amrum soll er sich der Erforschung eines mysteriös erscheinenden Friedhofs kümmern. Der andere sehr brisante Handlungsstrang erzählt von den Schiffsunglücken der Vergangenheit, von den Ursprüngen des anonymen Friedhofs und seinen Leiden. Krimi-Autor und gelernter Seemann Jürgen versteht sein Können, selbstsicher und mit ausgiebiger Recherche begibt er sich an die Story. Hier trifft er nicht nur den Geschmack der Krimiliebhaber, nein er überzeugt zudem auch Historiker, Hamburger, Inselbewohner und Geschichtsliebhaber. Durch einen sehr sympathischen und ausgefeilten Epochenmix sorgt J. Rath immer wieder für lebhafte Spannung, schicksalhafte Momente, eifrige Forschungen und für kleine Ruheoasen nach besonders kniffligen und erschütternden Erkenntnissen und Rückschlägen. Die Spannungsspitzen befinden sich zweifelsohne in der Vergangenheit, aber auch die hiesige Recherche, die Befragungen und das Wälzen alter Akten bringen Unglaubliches zu Tage. Schriftsteller Jürgen Rath nutzt ein geschicktes schriftstellerisches Werkzeug, um bereits in der Gegenwart den Grundstein und die Verknüpfung zur Vergangenheit zu legen. Was wäre das Einst ohne das Heute? Was wäre das Hier und Jetzt ohne das Damals? Autor Rath schreibt sehr nahe, obwohl die 60iger so weit weg erscheinen. Das Gelesene lässt sich bis auf den Stand der Technik aufs Heute projizieren und wirkt somit sehr authentisch und nachvollziehbar. Noch immer prägen Handlungen und Entscheidungen und Relikte von damals unser heutiges Sein. J. Rath wechselt geschickt zwischen den Epochen, führt differenzierte Dialoge, umschreibt die Schauplätze zeitgemäß, taucht in die jeweilige Zeit ein und gibt lebendige Bilder an die Leser wieder. Das rechne ich hoch an und zeugt von Können, Geschick, aber auch viel Herzblut und Eifer.

Schauplätze:
Eine anschauliche Karte, ein überaus hilfreiches Glossar, inseltypische Atmosphäre, dörfliche Verschwiegenheit und reelle Orte und Namen runden die Schauplätze fein ab. So wird es auch für Ortsfremde ein leichtes sein, sich zurechtzufinden. Autor Jürgen Rath gibt in seinem Krimi immer ein authentisches und zeitgemäßes Bild der Schauplätze wieder. Dies bezieht sich nicht nur auf das Stadt- oder Inselbild, nein, er entführt den Leser in die Örtlichkeiten, zeigt das Leben und Leiden der Schiffsbesatzung, durchforstet alte Archive, besucht Familien und Dörfler, durchdringt die Kirche und die Verwaltung, zeigt die Beweggründe der Verschwiegenheit, zeigt die moderne Kunst der Recherche und Archive…
Hier lobe ich die intensive und authentische Recherche des Autors. Er schreibt mit viel Hintergrund, eigenem Wissen und Erfahrungen und ausgiebiger Kenntnis. Hier spürt der Leser viel Herzblut und Verbundenheit zur Seefahrt und zur Geschichte rund um den anonymen Friedhof auf Amrum. Aber auch Hamburg, die Hansestadt, prägt das Bild des Buches.
Sehr genau hat er die Eindrücke eingefangen und gibt diese im Buch an die Leser weiter. Auch wenn sein Fokus teils auf viele Details und Umschreibungen liegt, so wirkt es nicht überladen oder aufgesetzt, nein, J. Rath hat in trefflichen Momenten immer ein sehr genaues Bild der Umgebung geschaffen.

Charaktere:
Auch bei der Wahl der Charaktere punktet der Autor. Gerade Archivar und Altbewährtenliebhaber Steffen Stephan muss man einfach mögen. Der Autor schenkt den Lesern ein genaues Bild seines verschrobenen Hauptprotagonisten, den manchen schon aus Band 1 bekannt ist. Steffen nimmt mit seinem neuen Job als „Friedhofsforscher“ hier in dem Buch eine zentrale Rolle ein. Seine verschrobene und biedere Art, seine altmodischen Sitten und Floskeln, seine Unlust und sein Zynismus, ebenso wie seine neue gegensätzliche Praktikantin Lilianne sind hier toll und eindringlich von dem Autor ausgearbeitet und in Szene gesetzt worden. Steffens Arbeiten und seine Vorgehensweise werden den Leser verblüffen und an die Seiten fesseln. Die Offenbarungen zwischen Dörflern, der Kirche, der Friedhofsverwaltung und weiteren Widersachern werden den Leser erschüttern, schockieren und an das Gute zweifeln lassen. Aber auch Lilianne, die Praktikantin, die sich eine zunächst ausweglose Arbeit und Zusammenarbeit mit Steffen angenommen hat, wird zum eigentlichen Dreh- und Angelpunkt. Hier hat der Autor aus den Vollen geschöpft und Charaktere und Probleme der schon fast vergessenen Vergangenheit und der Gegenwart um 1964 geschaffen. Jürgen Rath schafft hier ein stimmiges Bild der Persönlichkeiten und formt das passende Umfeld, die passende Ära, der Charaktere gleich dazu. Eine sehr runde und feine Mischung aus Hauptprotagonisten und wichtigen Nebenrollen. Gleich zu Beginn ermöglicht der Autor seinen Lesern ein klares Bild der einzelnen Persönlichkeiten. Eine hervorragende Auswahl der Protagonisten. Eine stimmige feine Ausarbeitung zur jeweiligen Zeit der Handlung und mit Bezug auf Teile des ersten Krimis „Nordhörn“.

Meinung:
Zuerst möchte ich die vielen versteckten dennoch offensichtlichen Inselmachenschaften und den wunderbaren Lokalkolorit loben, den der Autor in diesem Buch sehr gewissenhaft bedacht hat. Hier ist einmal der Umgang mit den hiesigen Sitten, das gelobte Ansehen der Dörfler, die Macht des Deckmantels der Vertuschung und des Schweigens, die Korruption, das Geld und auch der schnelle Abstieg und Verlust von allen Lebensgrundlagen. Aber auch die Wichtigkeit der eigenen Wurzeln, der Familie, die Brocken der Vergangenheit, die das Heute prägen, die Verletzlichkeit der Liebe, das zarte Band der Verbundenheit…der Weg in die Vergangenheit und der eigene Schatten der überwunden werden muss, und auch der sensible Umgang mit Lebenslügen und echter Liebe.
Hier hat Jürgen Rath sehr genau auf das Ausmaß geachtet und ich finde es ist ihm sehr galant gelungen. Eine perfekte Mischung und ein perfekter Mix aus zwei wichtigen Handlungssträngen, die den unglaublichen Weg zueinander finden.
Manches wirkte auf mich im Geschehen sehr beklemmend und ich musste beim Lesen häufig meinen Blickwinkel verstellen, das hat mir wirklich gut gefallen. Ich wurde unterhalten, durfte gespannt die Dinge verfolgen, wurde in die Irre geführt und fühlte mich in das Geschehen samt Nervenkitzel eingebunden.
Autor Rath bedient viele Emotionen und glänzt mit Spannungsspitzen und Erholungsinseln und Überraschungen und den vielen Anwohnerproblemen und auch den Problemen auf den Weg der Machenschaften und Intrigen. Bestialische Verstrickungen, abgründige Hintergründe und die Schicksale spielen hier eine zentrale Rolle im Krimi, das macht das Buch erst zum richtigen Krimigenuss zwischen den Jahrzehnten.

Fazit:
Das Buch lässt mich zurück, mit einem wirklich positiven Gefühl für einen sehr gut recherchierten und mit Herzblut geschriebenen Krimi! Leseempfehlung!
(Rezensentin floh in lovelybooks.de)

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